Tag 17 - Wir werden zu richtigen Seeleuten

Ab Bremen fahren wir auf der Unterweser, einem Tidengebiet. Hier ist der Bootsführerschein See erforderlich. Wir bekommen Ebbe und Flut zu spüren und besiegen eine Eisenbahnbrücke.

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Tag 17 - Wir werden zu richtigen Seeleuten

Mittwoch 27.10.2021
Wetter: Mehrheitlich bewölkt
Windstärke: 3-4
Motorstunden: 6.5 h
Distanz: 56 km
Schleusen: 0
Route:

Bremen - Oldenburg

Der heutige Tag will gut vorbereitet sein. In der Unterweser müssen wir unsere Fahrt den Gezeiten anpassen. Einfach gesagt: Wenn die Flut kommt und wir dagegen ankämpfen müssen, kommen wir nicht vorwärts. Unser Weg führt nach Oldenburg. Nach einem Stück Unterweser müssen wir in einen anderen Fluss einbiegen, die Hunte. Diese führt uns nach Oldenburg. Auch auf der Hunte sind die Gezeiten wirksam. Also müssen wir die Reise so planen, dass beim Einbiegen in die Hunte Ebbe ist. Wir rechnen mit einem Start unserer Reise ungefähr um 10:00 Uhr, dann sollte es einigermassen klappen. Wahrscheinlich werden wir die erste Stunde auf der Hunte noch die Strömung gegen uns haben, aber das sollte zu schaffen sein.

Kurz vor dem Ablegen noch ein Toilettengang, und es passiert, was wir unter allen Umständen vermeiden wollten: Das WC verstopft! Die Anzeige des Fäkalientanks steht immer noch auf "leer", so dass wir fürchten, dass sie nicht richtig funktioniert. Wir kriegen das WC zwar wieder frei. Aber wir wollen sicherheitshalber im nächsten Hafen Hasenbüren erstmals unsere Hinterlassenschaften abpumpen. Dafür gibt es sogenannte Fäkalienabsauganlagen. Nette Geschichte oder? Wir finden die Anlage und schaffen es auch, den Tank leer zu pumpen, und die Anzeige leuchtet sowohl vorher als auch nachher unbeirrt auf grün, also "leer". Nützt's nüt so schadt's nüt. Wir ziehen weiter.

Auf der Unterweser herrscht reger Schiffsverkehr. Zudem kreuzen einige Fähren unseren Weg. Bei diesen muss man besonders aufmerksam sein, da sie immer Vortritt haben. Sie fahren auch einfach los, wenn sie beladen sind. Aber alles geht gut. An der Unterweser befinden sich einige grosse Schiffswerften, z.B. Lürssen, die grosse Yachten baut. Mit ein paar Milliönchen ist man dabei.

Nach etwa 30 Flusskilometern kommt die Mündung der Hunte in Sicht. Wir biegen dort ein und fahren aufwärts Richtung Elsfleth. Unsere Fahrt wird abrupt gebremst. Statt mit der Strömung und ca. 14 km/h fahren wir nun gegen sie und schaffen gerade noch 7-8 km/h. Wir beschliessen, trotzdem weiterzufahren. Nach einer Stunde ebbt die Strömung ab, und wir kommen wieder auf unsere normale Reisegeschwindigkeit von ca. 10 km/h.

In unserer Planung gab es nur eine grosse Ungewissheit. Bei der Einfahrt nach Oldenburg gibt es eine Eisenbahnklappbrücke, die für uns geöffnet werden muss. Die zuständige Zentrale muss per Funk angerufen werden. Wir haben aber kein Funkgerät, und eine Telefonnummer haben wir im ganzen Internet nirgends gefunden. Wir haben also keine Ahnung, wie wir durch die Brücke kommen sollen. Das hat uns den ganzen Tag eine leichte Nervosität beschert. Aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten und vor Ort nach einer Lösung zu suchen.

Nach zwei weiteren Stunden Fahrt auf der kurvigen Hunte kommt Oldenburg in Sicht. Zuerst fahren wir unter einer Autobahnbrücke durch, die 26 m hoch ist. Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, ob die Höhe genügt. Etwas später kommt das Objekt der Nervosität in Sicht, die Eisenbahnbrücke. Aber halt! Kurz vor der Brücke ist ein Wasserpegel, der 4.10 m anzeigt! Da im Moment Ebbe und damit der Wasserstand sehr tief ist, könnte das reichen, um unter der Brücke durchzukommen, ohne eine Öffnung anfordern zu müssen. Unser Boot ist allerdings theoretisch etwas höher als 4.10 m, zumindest auf dem Papier. Die Angestellten der Chartergesellschaft haben uns aber versichert, dass das Boot nicht höher als 4 m ist. Wir haben längst aufgehört, irgend jemandem irgend etwas zu glauben. Wir beschliessen, allen Mut zusammenzureissen, einen Versuch zu unternehmen und ganz langsam an die Brücke zu fahren. Im Notfall stoppen wir auf und fahren zurück an einen Anleger. Ganz langsam fahre ich auf die Brücke zu, während mein Decksmaat das Ankerlicht zuoberst auf dem Mast genau im Blick hat. Der Mast nähert sich zentimeterweise dem ersten Brückenträger. Es kommt kein Handzeichen, dass ich aufstoppen soll. Und tatsächlich: Wir schaffen es knapp unter der Brücke durch.

Geschafft! Viel knapper geht's nicht. Rechts steht der Pegel auf 4.10 m

Das Ankerlicht bleibt heil, und wir sind eine weitere Sorge los. Sollen die doch alle ihre Telefonnummern geheim halten. Wir sind durch! Ein paar hundert Meter weiter biegen wir in den Stadthafen Oldenburg ein. Hier haben wir uns vor angemeldet, und ein Bereich des Stegs ist sogar für uns reserviert. Erleichtert machen wir fest. Und: schliessen den Strom an.

Die Fahrt war anstrengend. Trotzdem wollen wir unsere erste Fahrt auf Seegebiet und die Bezwingung der bösesten Eisenbahnbrücke unseres Planeten feiern. Und was ist dazu besser geeignet als ein feines Nachtessen im rustikalen Ratskeller zu Oldenburg.

Restaurant Ratskeller Oldenburg

Wir geniessen das Mahl und fallen nach dem Rückmarsch zum Boot müde in die Betten.

St. Lamberti-Kirche Oldenburg

Noch ein kleiner Nachtrag: Beim Aufgang vom Hafen zur Stadt steht an einem Informationskasten gross die Telefonnummer der Eisenbahnbrücke Oldenburg, welche ich hiermit für alle, die sie nie benötigen werden, veröffentliche: +49 441 99 82 430.